„Ich bin nur nach Havanna gereist, um Salsa zu tanzen”, gesteht Sarah Willis, Hornistin bei den Berliner Philharmonikern. „Es ist nur ein Katzensprung von wo ich in Miami war, aber als sich die Nachricht verbreitet hat, haben sie mich gefragt, ob ich einen Meisterkurs geben würde, während ich dort bin. Ich traf die Musiker des Havanna Lyceum Orchesters und des heutigen Havanna Horn Ensembles, und es hat mich einfach umgehauen, wie gut sie Mozart spielen konnten. Niemand wusste, dass es in Kuba klassische Musik in dieser Form gibt. Naja, sie wussten es, aber wir nicht!”

Sarah Willis
© Monika Rittershaus

Diese Erfahrung inspirierte Willis zu einem ehrgeizigen Projekt, bei dem es darum ging, was passieren würde, wenn man kubanische Unterhaltungsmusik – Salsa, Son, Mambo, Bolero – mit der Musik von Salzburgs Lieblingssohn kombiniert. Das Ergebnis war Mozart y Mambo, eine ausgelassene und fröhliche Aufnahme, die monatelang die Klassikcharts anführte, als sie während des Lockdowns veröffentlicht wurde, und die Welt dringend etwas ausgelassenen Spaß brauchte.

Wie hat sie auf die Art und Weise reagiert, wie die Kubaner Mozart spielen? „Ich bin keine abgestumpfte Musikerin”, erklärt sie, „aber ich höre eine Menge Dinge. Wir spielen viel Mozart und das mit Leidenschaft – vor allem als Hornistin und wegen der vier Solokonzerte – aber ich war überrascht, wie frisch es war, wie anders, wie voller Leben. Wir haben jetzt drei Dokumentarfilme gedreht, und man kann sehen, dass sie es im Blut haben. Egal ob sie kubanische Musik oder klassische Musik spielen – sie spielen mit ihrer ganzen Seele und ihrem ganzen Körper.”

Nach dem Erfolg der CD nahm Willis eine weitere auf, für die sie ein neues Werk, Cuban Dances, in Auftrag gegeben hat. „Mein Berliner Phil-Kollege Stefan Dohr macht das ständig”, erklärt Willis, „er bittet berühmte Komponisten, Stücke für ihn zu schreiben. Ich liebe die kubanische Musik so sehr, dass ich es für den besten Weg hielt, Werbung für das Horn zu machen und das Interesse der Leute dafür zu wecken, indem ich ihnen neue Musik zum Spielen gebe. Wir hatten einen Wettbewerb, aber es gab so viele gute Einsendungen, dass ich beschlossen habe, nicht einen Komponisten für ein Konzert auszuwählen, sondern eine Serie von sechs Sätzen – sechs Tänzen – von sechs verschiedenen Komponisten.”

Willis spricht voller Begeisterung darüber, was das kubanische Projekt für sie bedeutet hat. „Es war das Projekt meines Lebens. Ich habe das große Glück, in einem so großartigen Orchester wie der Berliner Philharmoniker zu spielen, mit großartigen Dirigenten und Solisten, und meine Kollegen sind die besten Musiker, die ich auf der Welt kenne. Ich habe auch großes Glück mit all meinen Fernsehauftritten, aber dieses Projekt hat mich als Mensch und als Musiker verändert. Ich habe eine andere Ecke der Welt gefunden, in der ich mich aus irgendeinem Grund plötzlich zu Hause fühle”, verrät sie. „Kennen Sie die Szene im Dschungelbuch, in der Balu und Bagheera Mowgli vor den Affen retten und Balu sich einen Grasrock und Kokosnusslippen anzieht, um King Louie zu verzaubern, aber er hört ihre Musik und kann nicht aufhören zu tanzen? So ging es mir auch. Kubanische Musik ging mir unter die Haut, ins Blut; ich habe keine Ahnung, warum – es gibt Samba, Fado, Flamenco – aber kubanische Musik hat es mir wirklich angetan. Die Möglichkeit, das in ein neues Repertoire für Horn einfließen zu lassen, ist etwas Unglaubliches.”

Sarah Willis, José Antonio Méndez Padrón und Mitglieder des Havana Lyceum Orchestra
© Monika Rittershaus

„Ich bin den ganzen Tag von großartigen Menschen umgeben, aber diese Kubaner haben mein Herz berührt, nicht nur, wie sie die Musik spielen, sondern auch, die Art, wie sie sind; sie haben so wenig, aber wenn man dort ist und sieht, wie glücklich und bescheiden sie sind und wie sehr sie die Musik lieben, wird man selbst zu einem bescheideneren Menschen.”

„Ich bin nicht von Natur aus Solistin – ich bin froh, Tutti-Spielerin zu sein – aber mit ihnen habe ich mich getraut, es zu versuchen, und es war eine erstaunliche Reise, nicht nur, weil sie etwas über Mozart gelernt haben, sondern auch ich habe viel über kubanische Musik und über mich selbst gelernt und darüber, wo meine Grenzen liegen. Die Leute sagen: ,Oh, du hast so viel für die Kubaner getan’, aber ich habe das Gefühl, sie haben so viel für mich getan.”

Sarah Willis und das Havana Lyceum Orchestra
© Sarah Willis

Bevor Willis 2001 zu den Berliner Philharmonikern kam, spielte sie an der Staatsoper Unter den Linden am anderen Ende der Stadt. Die Staatskapelle Berlin ist ein toller erster Auftritt für eine junge britische Hornistin! „Ich hatte großes Glück, denn ich hatte gerade erst  Guildhall verlassen. Eigentlich war ich gezwungen zu gehen, weil ich ein Jahr Pause machen wollte und man mich nicht gelassen hat", lacht sie. "Ich hatte die Chance, in Berlin mit dem Rundfunkorchester zu spielen, also habe ich sie ergriffen. Ich nahm Unterricht bei Fergus McWilliam von den Berliner Philharmonikern und nach ein paar Monaten erzählte er mir, dass eine Stelle an der Staatsoper frei geworden war. Das war 1990/91 und die Berliner Mauer war 1989 gerade gefallen, und er sagte mir, ich solle mich bewerben. Ich war erst 20 Jahre alt, frisch von der Musikhochschule und dachte: ,Ich will nicht im Dunkeln sitzen und in einem Opernorchester spielen, Oper ist nicht so spannend.’ Wie sehr habe ich mich geirrt? Ich war zehn Jahre lang dort – die erste Westlerin im Orchester, die erste Frau in der Blechbläsergruppe - die müssen gedacht haben, ich komme vom Mars! Ich sprach kein Deutsch und sie kein Englisch, aber ich hatte fünf Jahre in Moskau gelebt und die meisten von ihnen sprachen Russisch, so haben wir uns am Anfang verständigt! Es war der Beginn der Amtszeit von Daniel Barenboim. Ich habe so viel gelernt, und die Staatskapelle hat sich von einer Art Ostblockorchester eines recht guten Opernhauses zu dem erstklassigen Opernhaus entwickelt, das es heute ist, und ich hatte das Gefühl, dass ich diese Reise mit ihnen gemacht habe. Ich glaube, ich wäre nicht zu irgendeinem anderen Orchester gegangen, außer zu den Berliner Philharmonikern.”

Wie vergleicht Willis, die in beiden Orchestern gespielt hat, deren Klang? „Die Staatskapelle hat einen sehr traditionellen, schönen deutschen Klang. Sie ist ein Opernorchester und daher nicht so kraftvoll wie die Berliner Philharmoniker, die als Konzertorchester manchmal wie ein wildes Tier auf der Bühne sind! Ein Opernorchester wird immer zarter sein, in einer unterstützenden Rolle, aber wir sprechen nicht von besser oder schlechter. Beides sind traditionelle deutsche Orchester, aber die Philharmoniker sind einfach ein bisschen fleischiger, ein bisschen cremiger.” Obwohl die Berliner Philharmoniker eine inszenierte Oper pro Jahr spielen (demnächst in Baden-Baden), vermisst Willis das Spielen in einem Opernorchester. „Wenn mich junge Spieler um einen Rat bitten, sage ich: ,Geht in die Oper, da lernt man so viel.’’

Das Probespiel bei den Berliner Philharmonikern ist ein „furchterregender” Prozess. „Wir sind ein selbstverwaltetes Orchester, daher können wir selbst entscheiden. Wir haben kein Komitee, der Chefdirigent kann teilnehmen, wenn er will – er hat eine Stimme, so wie jeder andere auch – das ganze Orchester ist bei einem Probespiel dabei.” Ich bin überrascht, als sie mir erzählt, dass nichts davon hinter einm Vorhang stattfindet. „Die Berliner Philharmoniker sind ein so visuelles Orchester, dass es wichtig ist, zu sehen, wie sich jemand präsentiert, wie er auf der Bühne steht, wie er durch seine Musik spricht. Das schätze ich an ihnen. Ich habe mich nie benachteiligt gefühlt, weil ich eine Frau bin, und wenn wir Leute nehmen, suchen wir wirklich nach dem besten Musiker, nicht nach dem Geschlecht, und das finde ich großartig.” Die Vorspiele werden von der betreffenden Orchestergruppe geleitet. „Man spielt sein Solostück – normalerweise Mozart für die Hörner – und dann vielleicht ein romantisches Konzert und dann Auszüge aus dem Orchesterrepertoire. 

Worauf achten sie bei neuen Bewerbern? „Wir achten natürlich auf Perfektion, aber jemand wird die Stelle nicht nicht bekommen, weil er ein oder zwei Noten nicht trifft. Wir achten auf den Techniker, den Musiker insgesamt und darauf, ob die Person in einem Stil spielt – oder spielen könnte –, der zu unserer Spielweise passt. Die Digital Concert Hall macht es einfacher, die Hausaufgaben zu machen!

„Ich war mit den anderen Finalisten auf der Bühne und es war wie russisches Roulette. Ich habe gespielt und musste dann warten, bis die anderen Jungs den gleichen Ausschnitt gespielt hatten. Es geht auch darum, wer die mentale Stärke hat, nicht einzuknicken – im wahrsten Sinne des Wortes für eine Hornistin!!”

Weibliche Blechbläser sind in deutschen Orchestern noch relativ selten, aber Willis sieht einen Wandel. „Ich bin stolz darauf, dass ich es in das (für mich) beste Orchester der Welt geschafft habe, und wir haben jetzt eine zweite Frau, Paola Ernesaks, in der Gruppe. Ich bin besonders stolz, weil sie meine Schülerin ist, eine Akademistin aus Estland.”

Sarah Willis, Paula Ernesaks und die Hörner der Berliner Philharmoniker
© Berliner Philharmoniker

„Einige meiner Studentinnen sagten: ,Du tust uns leid, weil du nie das hattest, was Paola hatte – du hattest nie eine Sarah!'’ Ich hatte nie jemanden, der mich angeleitet hat. Es gibt einige Top-Hornistinnen, zu denen ich aufgeschaut habe, wie Marie-Luise Neunecker, Frøydis Ree Wekre, Gail Williams in Chicago, aber sie waren weit weg, so dass es die Mühe wert ist, so etwas zu hören. Es ist eine gewisse Verantwortung.” 

Die Berliner Philharmoniker wählen nicht nur ihre neuen Orchesterkollegen, sondern auch ihren Chefdirigenten selbst aus. Willis wechselte erst nach der Wahl von Sir Simon Rattle zum Orchester, war aber an der Ernennung seines Nachfolgers, des medienscheuen, aber sehr geschätzten Kirill Petrenko, beteiligt. Was, frage ich mich, ist anders, wenn Petrenko am Pult steht?

„Die Länge der Proben!” Willis lacht laut. „Es ist lustig, bei einer seiner ersten Proben hat er darüber gesprochen, wie wir alle zusammenarbeiten und voneinander lernen werden, ,Aber eine Sache kann ich nicht tun: Ich kann die Proben nicht kürzen!'’ Es hat natürlich seine Vorteile, wenn alles gut geprobt ist”, räumt sie ein. „Andererseits lassen wir uns manchmal gerne von der Leine und machen spannende Sachen. Kirill ist eine ganz besondere Art von Musiker, der unermüdlich mit uns arbeitet, fast bis zu dem Punkt, an dem wir denken: ,Ach was, das können wir spielen’, aber dann kann er im Konzert auch loslassen, so dass es sich nicht kontrolliert anfühlt. Er kann mit einer solchen Hingabe dirigieren, und weil es so gut geprobt ist, gibt es diesen Raum, um spontan zu sein.”

Besonders gern erinnert sie sich an die unglaubliche Beethoven 7 bei den BBC Proms 2018. „Erinnern Sie sich an den Schrei am Ende?! Ich habe schon bei vielen Proms gespielt, aber hier herrschte völlige Stille... und dann explodierte es. Ich werde auch nie das Tanzprojekt Le Sacre du printemps vergessen, das wir mit Sir Simon gemacht haben. Das Tolle ist, dass ich in einem Orchester spiele, das jede Woche Highlights hat!”

Wir sprechen über aufstrebende junge Hornistinnen, auf die man achten sollte. Diplomatischerweise zögert Willis, jemanden besonders hervorzuheben. „Ich bin jedoch sehr stolz auf unsere Akademistinnen. Von meinen letzten beiden ist Paola jetzt bei den Berliner Philharmonikern und die andere, Haeree Yoo, ist jetzt Solo-Hornistin beim WDR in Köln.” 

Aber am Ende schließt sich der Kreis zurück nach Kuba. „Ich bin sehr stolz darauf, dass wir mit Mozart y Mambo den ersten Erfolg in der deutschen Orchesterwelt hatten. Einer meiner Havanna-Hörner, Ernesto Herrera del Río, hat gerade die Stelle des Solo-Horns bei den Leipziger Symphonikern bekommen. Das kubanische Projekt hat das alles möglich gemacht: Er hat in einem Viertel von Havanna gelebt, ich habe ihn gefunden und gehört; er war der erste, der dort für mich gespielt hat. Ich habe ihn nach Spanien geschickt, wo er mit einem Stipendium studierte. Zwei Jahre später spielt er auf einem Horn, das das Projekt bezahlt hat, er kommt nach Deutschland, macht das Probespiel, gewinnt es, setzt sich dann in den Zug nach Berlin, um es mir selbst zu sagen.” Ein guter Grund, stolz zu sein.


Ins Deutsche übertragen von Elisabeth Schwarz.